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Das Kollektiv
Die Entstehung von Hausprojektgruppen ist so vielfältig wie die jeweiligen Hausprojekte selbst. Es bilden sich Gruppen aus Freundeskreisen, aufgrund gemeinsamer Interessen oder sie entstehen aus bereits existierenden Kollektiven. Manche werden zusammengecastet, andere wohnen einfach schon in einem Mietshaus, das zu einem selbstverwalteten Projekt gemacht werden soll.
Wie auch immer ein motiviertes Kollektiv zustande kommt, besteht es doch meistens aus Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Fähigkeiten, Gesprächs- und Gruppenverhaltensweisen. Diese Unterschiede miteinander zu vereinbaren erfordert viel Auseinandersetzung, viele Diskussionen, gemeinsames Schaffen und gegenseitiges Kennenlernen. Jeder Gruppenfindungsprozess benötigt seine Zeit und hat sein eigenes Tempo. Dabei sollte jede Gruppe ihren individuellen Arbeits- und Organisationsmodus und ihre gemeinsamen Ziele finden. In diesem Kapitel möchten wir euch einen Einblick in unsere Sachkenntnisse und unseren Reifeprozess geben. Das soll euch als Anregung dienen, wie ihr euch finden, organisieren und eine gemeinsame Linie lokalisieren könnt, um die Bedürfnisse und Widerstände aller Projektmitglieder miteinzubeziehen.
Bildet Banden!
Die vielen Anfragen die wir im Willy*Fred und im habiTAT bekommen, zeigen dass sehr viele Menschen den Wunsch nach solidarischen und selbstverwalteten Wohnformen in sich tragen. Wenn ihr also noch kein Kollektiv gefunden habt oder als solches noch wachsen wollt, sollte es nicht allzu schwer sein Mitstreiter*innen zu finden. Es kann schon reichen einfach Ort und Zeit für ein erstes Treffen festzulegen und die Nachricht über die Gründung eines Hausprojekts über alle passenden und verfügbaren Kanäle zu verbreiten. Per SMS, über Soziale Medien oder bestehende E-Maillisten. In einigen österreichischen Städten gibt es mittlerweile auch regelmäßige Treffen von bestehenden Hausprojekten oder interessierten Personen, die ihr als Vernetzungsort nutzen könnt. Zu Beginn muss eure Gruppe auch noch gar nicht so groß sein. Im kleineren Kreis ist es einfacher ein gemeinsames Ziel für das Projekt zu formulieren und es bleibt mehr Spielraum für die Immobiliensuche. Ist das Ziel klar und vielleicht sogar schon ein Haus im Blick, finden sich schnell genug Menschen die mitmachen wollen.
Wenn sich das Kollektiv zusammengefunden hat, müsst ihr nur noch dranbleiben. Trefft euch regelmäßig und mit nicht zu lange Abständen dazwischen und seht zu,dass ihr jedes Mal ein kleines Stück weiter kommt. Macht außerdem unbedingt Ausflüge zu bestehenden Projekten, um zu sehen wie die Lebensrealität in Hausprojekten aussehen kann. Die liebevoll gestalteten Häuser etablierter Projekte erzeugen eine ungeheure Motivation und die Bewohner*innen können euch wertvolle Tipps mit auf den Weg geben.
Ein gemeinsames Ziel
Die gemeinsame Vision ist der Motor des Projekts. Je genauer ihr formuliert wo die Reise hingehen soll, desto reibungsfreier wird auch der Prozess dort hin. Es kann einiges an Sprengmaterial enthalten, wenn man viel Arbeit in ein Projekt investiert nur um dann feststellen zu müssen, dass der Rest der Gruppe eigentlich ganz etwas Anderes will. Ihr könnt euch für den Bau eurer Gedankenschlösser externe Hilfe holen oder euch einfach selbst einen Tag oder sogar länger Zeit nehmen und losspinnen. Soll das Haus am Land oder in der Stadt sein? Was soll darin möglich sein? Mit wie vielen Menschen wollt ihr zusammenwohnen?
Überlegt euch auch welche eurer Kriterien verhandelbar sind und welche unbedingt erfüllt werden müssen. Das hilft bei der Haussuche, um Objekte auszusieben, die auf keinen Fall in Frage kommen. Seid dabei aber nicht zu streng! Schließlich haben die Wenigsten bereits vorher in Gemeinschaftsprojekten gewohnt und die ersten Hausbesichtigungen bringen da noch so manches ins Wanken.
Das Plenum
Hat sich euer Kollektiv zusammengefunden, geht es an die Organisation. Das Plenum ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt eines Hausprojekts. Im Grunde handelt es sich um ein – je nach Gruppe mehr oder weniger formalisiertes – Treffen aller Mitglieder. Dort werden alle zentralen Entscheidungen getroffen. Es dient dem Informationsaustausch, der Arbeitsverteilung und nicht selten auch der Konfliktlösung. Das Plenum setzt die Bereitschaft Aller voraus, daran teilzunehmen. Wer nicht hingeht, verzichtet folglich auf seine*ihre Partizipationsmöglichkeiten.
In den Plena sollen die Meinungen und Bedürfnisse aller Beteiligten Gehör finden (siehe nächstes Kapitel) und eure Arbeit soll dabei größtmögliche Wirkung entfalten. Zwei Ziele die sich schon mal in die Quere kommen, könnte man meinen. In der Realität wirken gut organisierte Plena und eine funktionierende Arbeitsteilung (siehe übernächstes Kapitel) meist sehr inklusiv und erlauben es den Gruppenmitgliedern regelmäßig dabei zu sein. Besonders Menschen die Betreuungspflichten haben oder aufgrund ihrer Lebenssituation nur über knappe Zeitressourcen verfügen, werden ohne sinnvoll strukturierte Plena von der Entscheidungsfindung und dem Informationsfluss ausgeschlossen.
Um also nicht ewig um den heißen Brei herumzureden hier ein paar Erfahrungswerte mitten aus der real gelebten Hausprojektpraxis:
Moderieren
Die Moderation wird leider oft unterschätzt, sie ist aber die wahrscheinlich wichtigste Aufgabe im Plenum. Je größer eure Gruppe ist, desto wichtiger ist es eine*n Moderator*in zu bestimmen. Die Aufgaben der Moderation sind:
- Einzugreifen wenn sich Gespräche verzetteln. Wenn das Thema aus den Augen gerät oder sich Nebengespräche entwickeln, führt die Moderation wieder zum eigentlichen Punkt zurück. Bewegt sich eine Diskussion im Kreis, kann sie einen Entscheidungsvorschlag formulieren und die Gruppe nach Konsens fragen.
- Das Gesprächsverhalten im Blick haben. Bei hitzigen Diskussionen kann es sinnvoll sein eine Redner*innenliste zu führen, um Vielredner*innen einzubremsen bzw. auch die Positionen von Wenigredner*innen aktiv einzuholen.
- Auf die Zeit schauen. Wenn wichtige Entscheidungen noch nicht gefallen sind, sich die Gruppe aber in Detailüberlegungen verliert, versucht die Moderation Diskussionen zum Abschluss zu bringen oder schlägt vor weniger wichtige Punkte auf den nächsten Termin zu verschieben.
Idealerweise sind Moderator*innen nicht selbst an der Diskussion beteiligt um einen möglichst neutralen Standpunkt einnehmen zu könnMitschreibenen. In der Praxis ist das natürlich schwierig, da sie ja meistens selbst Teil der Gruppe sind. Achtet deshalb darauf, dass die Moderation nicht jedes Mal von den gleichen Personen übernommen wird und wechselt euch ab.
Mitschreiben
Das Protokoll ist das schriftliche Ergebnis eines Plenums. Es dient dem Festhalten der Beschlüsse und Arbeitsaufgaben und erlaubt es nicht anwesenden Personen am Informationsfluss teilzuhaben und eventuell im Nachhinein Bedenken zu äußern.
Um zu verhindern, dass die Entscheidungen im Protokoll missverständlich formuliert werden, könnt ihr das Protokoll während des Plenums – z.B. mit Hilfe eines Beamers – für alle sichtbar machen. Das hat den positiven Nebeneffekt, dass es den Anwesenden leichter fällt, beim aktuellen Thema zu bleiben.
Mit der Zeit türmen sich die Protokolle zu einem immer größeren Stapel, in dem es schwierig wird wichtige Abmachungen wiederzufinden. Für diesen Fall könnt ihr zusätzlich ein Beschlüssebuch (z.B. Wiki) führen, in dem die wichtigsten Ergebnisse, die beispielsweise auch für zukünftige neue Mitglieder wichtig sind, zusammenfasst werden.
Vorbereiten
Damit sich ein Plenum nicht unnötig in die Länge zieht, hilft es das Plenum gut vorzubereiten. Die Tagesordnungspunkte können beispielsweise bereits im Vorfeld gemeinsam gesammelt werden. Im Willy*Fred treffen sich der*die Moderator*in und der*die Protokollschreiberling deshalb schon eine halbe Stunde vor Beginn des Plenums. Sie bereiten den Raum und das Plenum vor, befüllen das Plenumsprotokoll mit den Tagesordnungspunkten und durchforsten das vorangegangene Plenumsprotokoll nach noch offenen Punkten. Dadurch gehen unerledigte Dinge nicht verloren und ihr müsst nicht alles doppelt oder sogar mehrfach besprechen.
Entscheidungsfindung - Was ist Konsent?
Es gibt viele Formen der Entscheidungsfindung und alle haben, je nach Anwendungsfall, Vor- und Nachteile. Im Mietshäusersyndikat und auch im habiTAT werden alle Entscheidungen im Konsent getroffen und das aus gutem Grund. Beim Konsent wird einstimmig entschieden. Im Vordergrund steht es eine Lösung zu finden, die von allen mitgetragen wird und die auf so wenige persönliche Widerstände wie möglich stößt. Jede*r hat das Recht eine Entscheidung durch ein Veto abzulehnen. Dadurch könnt ihr sicherstellen, dass nicht mit Mehrheiten über die Bedürfnisse weniger Menschen hinweg Entscheidungen getroffen werden, die es für diese schwer machen Teil des Projekts zu bleiben. Das führt nicht nur fast immer zu den besseren Entscheidungen, sondern auch dazu, dass ihr euch sicher sein könnt, dass eure Bedürfnisse und Positionen ernst genommen werden.
Natürlich kann das schon mal mühsam werden, weil ihr solange diskutierten müsst, bis eine Lösung auf dem Tisch liegt, die für alle passt. Wichtig ist es deshalb eine offene Gesprächskultur zu entwickeln, die auch bei gegensätzlichen Meinungen wertschätzend bleibt. Achtet gemeinsam darauf, dass wirklich alle Menschen eurer Gruppe gehört werden und dass sich Meinungsmacher*innen auch mal selbst zurücknehmen. Meinungsverschiedenheiten gehören dazu und sind voll okay. In schwierigen Situationen könnt ihr euch Unterstützung von Supervisor*innen oder Mediator*innen holen.
Es gibt Situationen, in denen es nicht so einfach ist entweder mit Zustimmung oder mit Veto zu reagieren. Manchmal ist euch vielleicht nur wichtig, dass eure Bedenken gehört werden, ohne dass ihr gleich ein Veto einlegen wollt. Ein anderes Mal geht es auch einfach nur zu schnell oder ihr habt zwar grundsätzlich nichts dagegen, aber keine Lust an der Umsetzung mitzuwirken. Um diese vielen Möglichkeiten auch sichtbar zu machen, haben sich bei uns die sogenannten Konsentstufen bewährt. Mit Handzeichen oder auch einfach nur verbal kann auf diese Weise abgefragt werden, wie die Stimmung in der Gruppe ist, abseits von ja oder nein. Dadurch werden Widerstände sichtbar und eure Entscheidungen facettenreicher.
Konsentstufen:
- Volle Zustimmung (Daumen hoch): „Ich stimme dem Lösungsvorschlag zu.“
- Leichte Bedenken (2 Finger): „Ich stimme zu, habe aber leichte Bedenken.“
- Enthaltung (3 Finger): „Ich überlasse euch die Entscheidung, bin bei der Umsetzung aber dabei.“
- Schwere Bedenken (4 Finger): „Ich habe schwere Bedenken und wünsche mir eine andere Entscheidung.“
- Beiseite stehen (5 Finger): „Ich kann den Vorschlag nicht vertreten, lasse ihn trotzdem passieren (beteilige mich aber nicht).“
- Timeout (T mit beiden Händen): „Ich brauch mehr Zeit und wünsche mir eine Diskussion am nächsten Plenum.“
- Veto (Faust): „Der Vorschlag widerspricht grundsätzlich meinen Vorstellungen. Er darf nicht beschlossen bzw. ausgeführt werden.“